Die Nepalesen – Versuch einer sehr persönlich gefärbten Beschreibung

 

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Die Nepalesen gibt es nicht. Beziehungsweise gibt es sie doch, als politisches Konstrukt : alle Menschen mit nepalesischer Staatsbürgerschaft sind natürlich Nepalesen.

Sie sehen alle sehr verschieden aus: da sitzt im Mikrobus neben mir eine Frau mit ausgeprägten mongolischen Gesichtszügen; daneben ein dunkelhäutiger, südindisch aussehender älterer Mann, mit dem Topi, dem universellen rosa-grau gemusterten Topfhut auf dem Kopf. Da steigt ein Mann ein, der, was Hautfarbe und Gesichtszüge betrifft, als Österreicher durchgehen könnte. Da stürmen Schulkinder den Bus und alle sehen trotz ihrer gleichen Schuluniformen anders aus: Körperbau, Hautfarbe, Gesicht könnten unterschiedlicher nicht sein.
Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Ethnien aus China und Indien, den beiden großen Nachbarn, geflüchtet und in die entlegensten Bergregionen Nepals eingewandert: Die indo-arischen hinduistischen Bahuns und Chhetri, die tibeto-birmanischen, buddhistischen Tamang, Gurung, Magar und Limbu, die bekannteste und kleinste Volksgruppe der Sherpa, die Lopa in Mustang, deren Chörten und Manimauern, deren stolze Frauen in ihren Wickelkleidern, quergestreiften Schürzen und schweren Halsketten ich in Kagbeni bewundert habe, und nicht zu vergessen die Tharu in Chitwan und im Terai und natürlich die Newar des Kathmandu Tales, die schon immer hier waren.

Und was haben sie alle gemeinsam? Sicher nicht die Sprache und sicher nicht ihre Kultur, ihre sehr verschiedenen Sitten und Gebräuche!
Gemeinsam ist ihnen z.B. die Freundlichkeit und Offenheit, mit der sie Fremden begegnen. Es ist leicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, und es genügt schon ein herzliches “Namaste” meinerseits, um ein solches zu beginnen. Ich habe auch keine Scheu mit Bäuerinnen, Mönchen, Polizisten, Händlern, Schulkindern oder Busfahrern zu plaudern. Sie sind – mit seltenen Ausnahmen- nie aufdringlich, sondern zwar interessiert aber immer respektvoll.
Alle wackeln sie mit dem Kopf als Zeichen der Zustimmung, was für mich immer noch verwirrend ist: yes or no ?, frage ich dann verzweifelt. Ich lerne: Kopfwackeln heißt hier: “Aber ja!! Gewiss doch, sicher!”
Alle – Männer, Frauen, Kinder – spucken auf die Straße, sogar aus dem Fenster. Sie schneuzen sich ohne Taschentuch, essen liebend gern mit den Fingern oder mit dem Löffel, wenn`s schon sein muss und benützen natürlich ausschließlich die rechte Hand,- die linke ist ja tabu.
Viele tragen warme Jacken, Westen und gleichzeitig nur Flipflops ohne Socken. Sie haben die lustigsten Kopfbedeckungen: witzige Wollmützen, Hand-/Tücher kunstvoll herumgewickelt, schräge Kappen.
Sie putzen mit Begeisterung und Ausdauer rund um die Uhr ihre Zähne – öffentlich, am Brunnen. Sie tippen sich ehrfürchtig an die Stirn, wenn sie an bestimmten Tempeln und Schreinen vorbeikommen. Sie werfen achtlos und ungeniert Müll auf die Straße, aber sie putzen und kehren mit den typischen kleinen Naturbesen von früh bis spät vor der eigenen Haustür: ein ständiger -erfolgloser- Kampf gegen den schrecklichen Staub und Dreck.
Sie lieben und schleppen ihre Kleinkinder. Sie wollen, wie alle Eltern weltweit, dass es ihren Kindern einmal besser gehen soll als ihnen. Sie haben noch das alte Kastensystem in ihren Köpfen und diskriminieren die Dalits, die Karmas -die untersten Kasten.
Die Männer: sie gehen Händchen haltend, sich umarmend, eingehängt. Ein Volk der Schwulen? Sicher nicht. Sie spielen Schach, Karten, eine Art Tischfußball/Billard. Sie stehen herum und schauen den Frauen beim Arbeiten zu. Sie rackern sich ab, schleppen unheimliche Lasten und sind sehr fleißig. Sie tanzen gerne -allein und in Gruppen.
Die Frauen: sind in ihren prächtigen Saris, ihren farblich genau abgestimmten Kurtas (bestehend aus einer bauschigen Hose, einem meist langärmeligen Hemd und einem Schal) wunderschön anzuschauen. Sie lieben Schmuck und tragen goldene Nasenringe (zugegeben nur mehr die älteren Frauen!), prächtige Ohrringe und billigen Modeschmuck: Armreifen, Halsketten, Fußketterln. Ausnahmslos alle lackieren ihre Finger-und Fußnägel; sie alle haben langes, dichtes, schwarzes Haar, oft zu kunstvollen Zöpfen geflochten.
Die Frau auf dem Land trägt die Hauptlast der Arbeit- sie schleppen schwere Körbe, arbeiten auf dem Feld und im Haus, kochen und versorgen die Kinder.
Vor allem die hinduistische Frau wird für das Wohlergehen ihres Mannes verantwortlich gemacht und fastet und betet und opfert für ihn.
Die Jugendlichen: wo und in welche Familie, in welche ökonomische Situation du hineingeboren wirst – es ist die Lotterie, ein Glücksspiel.
Entweder arbeitest du als 14-Jährige 7 Tage die Woche von frühmorgens bis es finster wird als Ziegelträgerin – angeheuert in deinem Dorf von einer Schlepperin, die dir die Großstadt und einen tollen Verdienst in Aussicht gestellt hat,- oder du gehst von 6 a.m. -10a.m. in die Schule, um dann als Kellner, Busschaffner, Putzfrau den ganzen Tag zu schuften, oder du darfst eine Privatschule besuchen und bist wohlbehütet……die Lebenslinien sind hier sehr krass.
Städtische Jugendliche tragen Jeans, Miniröcke, haben einen coolen Haarschnitt, färben sich die Haare. Die arbeitende Jugend will, aber kann da nicht mithalten.
Die Kinder: sind eben Kinder: lieb, laut, lustig, lästig, still, brav, schlimm, trotzig………Die berüchtigten Straßenkinder Kathmandus und Pokharas habe ich nur vereinzelt erlebt, aber es gibt sie. Sie sind die Opfer der sozialen Missstände, der katastrophalen, korrupten Politik. 139718042230216322222336122401219526242788DSC01874

Männer und Frauen erscheinen mir allgemein sehr geduldig: es wird nicht gemurrt und gemeckert, eher gescherzt und gerne und viel gelacht. Ich glaube, es dauert lange, bis sie sich ärgern und es brauchte (und braucht) viel Leidensdruck, bis dieses Volk sich aufgelehnt hat (und auflehnen wird). Ein fatalistisches Schulterzucken -“ke garne! was kann man schon machen!” – lähmt so manche Bemühung zu einer Verbesserung der Lebensumstände.

Ich bin bereits mehr als 3 Monate in Nepal, habe ausschließlich Kontakt mit Einheimischen und manchmal das Gefühl, sie gut und gleichzeitig gar nicht zu kennen. Aber ich fühle mich herzlich aufgenommen und sehr wohl hier.

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